September 30 2014 0Comment

Zeit für Bescheidenheit

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Donnerstagnachmittag im Spät-sommer, ich bin mit Hartmut Völcker verabredet. Das Präsi-diumsmitglied des SC 13 emp-fängt mich an der Haustüre sei-nes Domizils in Sinzig und ge-leitet mich in den wunderschö-nen Garten. Das Wetter ist warm, wir können draußen sit-zen. Zuvor aber bereitet der Di-plomkaufmann und Doktor der Wirtschaftswissenschaften in der heimischen Küche einen Cappuccino für mich und für sich. Und wie er das tut, das lässt Rückschlüsse auf seinen Charakter zu. Während der Es-presso gekocht wird, macht er in einem Topf Milch warm, die wird mit einem Milchaufschäu-mer von Hand gerührt. Dann, der kleine Schwarze ist durch-gelaufen, wird Kaffee und Milch-schaum zu einem vortrefflichen Getränk zusammengeführt. Da sitzt jeder Handgriff, wird über-legt gehandelt, nicht einfach drauf los gearbeitet. Strategie, kühler Kopf – so tickt er, der Fi-nanzfachmann aus dem hohen Norden.

Von der Uni in die Industrie

Harmut Völcker ist am 22. Juni 1947 in Leer geboren. Der Ost-friese ist nach dem Abitur zu-nächst zur Bundeswehr gegan-gen, nach der dreijährigen Mili-tärzeit hat er an der Westfäli-sche Wilhelms-Universität in Münster Bankbetriebswirt-schaftslehre studiert und an-schließend am Institut für indus-trielle Unternehmensplanung promoviert. Nach diesem Ab-schluss zog es ihn in die Indust-rie. Als Finanzmanager, als Kaufmännischer Leiter und als Geschäftsführer arbeitete er in einem amerikanischen Konzern (Procter & Gamble), in einem japanischen Unternehmen (Citi-zen) und für einen mittelständi-schen deutschen Betrieb. Die dabei gewonnenen Erfahrungen wollte er nicht für sich behalten, sondern an wissbegierige junge Menschen weiter geben – und wurde mit 50 Jahren Professor.

Von Dresden in den Kreis Ahrweiler

Im Oktober 1998 wurde er an

Porträt Hartmut Völcker Zeit für Bescheidenheit

die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden berufen, um Betriebswirtschaftslehre, insbe-sondere operatives und strate-gisches Controlling zu lehren. Vierzehn Jahre lang hat er dort unterrichtet, über 300 Diplom-, Bachelor und Masterarbeiten begleitet. Er hat sich als Prode-kan und Studiendekan enga-giert, war Senatsmitglied, in der Weiterbildung tätig, hat sich der Forschung gewidmet, war als Experte und Gutachter tätig. Ein Beratungsunternehmen führt er nebenbei schon seit 1995. Umtriebig nennt man so etwas, ihm hat es einfach Spaß und Freude gemacht, sein viel-fältiges Wissen zu teilen, wei-terzugeben und zu mehren. Als er im September 2012 in den Ruhestand geht, stellt sich die Frage, was jetzt? Hartmut Völ-cker erinnert sich, dass er als Kind mit seiner Tante mehrfach zur Kur in Bad Neuenahr war -und beschließt, in diese Ge-gend zu ziehen. Zumal er schon seit 2011 am Rhein-Ahr-Cam-pus in Remagen einen zusätzli-chen Lehrauftrag hat und seine Tochter nicht weit entfernt wohnt. Auf der Suche nach ei-ner passenden Immobilie landet er schließlich in Sinzig.

Vom Tischtennis zum Frauenfußball

Hartmut Völcker hat in jungen Jahren sehr erfolgreich Tisch-tennis gespielt, er brachte es bis zum Jugend-Niedersachsen-meister mit der mannschaft des BSV Eintracht Leer. Später hat er Fußball gespielt, allerdings nur einmal mannschaftsmäßig, während seiner Militärzeit in Sonthofen. Als rechter Offensiv-verteidiger hat er einst gegen die Skiläuferlegende Ludwig „Luggi“ Leitner gekickt. Der wie-derum durfte beim FC Kleinwal-sertal aktiv sein, weil er nach dem Match alle in sein luxuriö-ses Hotel einlud zum Essen. Auch das Racket hat Hartmut Völcker geschwungen, aus sei-ner Zeit bei Citizen kennt er Tennisgrößen wie Steffi Graf und Gabriela Sabatini. Und Ski gefahren ist er auch. Seit einer schweren Rückgratverletzung muss er allerdings vorsichtiger

sein mit sportlichen Aktivitäten. Fahrradfahren mit gefedertem Sattel geht allerdings noch ganz gut. Da der Vater selbst Torwart war und seine Frau aus einer Fußballerfamilie stammte (sein Schwager hat den Frauen-fußball in Cloppenburg aufge-baut), lag es nahe, sich auch hier dem runden Leder zu wid-men. Zudem als neu Zugezoge-ner eine gute Gelegenheit, An-schluss zu finden. Prof. Dr. Lutz Thieme, Leiter des Studiengan-ges für Sportmanagement in Remagen, sprach ihn an, dass der SC 07 dringend eine Ver-stärkung im Finanzbereich be-nötigt.

Vom Kassensturz zum Neubeginn

Mitte März 2013 wird er kom-missarischer Vizepräsident Fi-nanzen. Damit er sich einen Überblick verschaffen kann, be-nötigt er Zeit – die er nicht hat.

Denn die finanzielle Schieflage ist mittlerweile so groß, dass vieles drunter und drüber geht. So kann auch ein Fachmann wie Hartmut Völcker letztlich nichts mehr retten. Als zwei Mo-nate später Präsident Stemme-ler stirbt, entschließt sich das Präsidium zum Schnitt, stellt den Insolvenzantrag. Alle Spie-lerinnen müssen entlassen wer-den, alle Verträge werden ge-kündigt. Der mit dem Konkurs einhergehende Zwangsabstieg in die zweite Liga war nach da-maligen Statuten des Deut-schen Fußballbundes unaus-weichlich. Heute würde er ledig-lich mit acht Punkten Abzug in der neuen Saison bestraft.

Der DFB hat die entsprechen-den Vorschriften mittlerweile geändert, zu spät für Bad Neu-enahr. Da mit dem Abstieg in die zweite Liga die Sponsoren-gelder automatisch schrumpfen, teilweise ganz wegbrechen,

weil der Verein einen ausgegli-chenen Etat vorweisen muss, ohne einen Euro Schulden, wird rasch klar: Unter diesen Um-ständen kann kein wettbewerbs-fähiger Kader aufgestellt wer-den. Die Mannschaft ist trotz al-ler Bemühungen nicht zweitliga-tauglich und steigt erneut ab, dieses mal sportlich.

Konsolidierung und Neuaufbau

Hartmut Völcker hat als Control-ler gelernt, in die Zukunft zu denken. Er schätzt die Lage wie folgt ein: „Wir müssen nun be-scheiden auftreten. Jetzt befin-den wir uns in einer Konsolidie-rungsphase, die bietet aber auch Chancen.“ Aus der be-kannt guten und erfolgreichen Jugendarbeit heraus, die noch verstärkt und weiter gefördert werden soll, will man mittelfris-tig eine neue Mannschaft auf-bauen. „Dabei muss es uns ge-lingen, die leistungsfähigen Spielerinnen aus der U 17-Bun-desliga zu halten.“ Er denkt an Stipendien zur Unterstützung von Internatskosten, Berufs-und Weiterbildung oder Studi-um. Denn intensives Training und Jobben nebenbei, das passt seiner Meinung nach nicht zusammen. Wenn solide gearbeitet wird, davon ist er überzeugt, wird es auch gelin-gen, potente Sponsoren zu fin-den, die den Weg mitgehen wollen. Woraus nimmt jemand, der in einer nahezu ausweglo-sen Situation zum Verein gesto-ßen ist, die Motivation für sein zukunftsgerichtetes Handeln? „Ich habe mit Stefan Gustav und Dagmar Schweden zwei tolle Mitstreiter im Präsidium. Außerdem habe ich als Hoch-schulprofessor die Erfahrung gemacht, dass junge Frauen zielstrebiger und leistungsfähi-ger sind als ihre gleichaltrigen Kommilitonen, das gibt mir Hoff-nung für unsere Fußballerinen. Denn eines weiß ich: Sport ent-wickelt die Persönlichkeit.“ Nun weiß ich auch, warum der Slo-gan des Vereins auf der face-book-Seite lautet: Mit guterAusbildung im Team selbstbe-wusst in die Zukunft. J=p`e§=J

gkoelzer